Pan y Arte: „Wie kann man durch den Einfluss der modernen Medien mit der Situation des Leseverhaltens heutzutage umgehen?“
Lutz Kliche: „Ich bin kein Freund davon, dass man die Situation, die heute herrscht in Bezug auf Lesegewohnheiten, schoenredet. Das muss man wie in vielen Dingen des Lebens mit „zwar, aber“ angehen. Zwar ist es schwieriger geworden, das Leseverhalten ist vielen Erschwernissen ausgesetzt, gar keine Frage. Da spielt das Internet einfach ein ganz wichtige Rolle.
Es gibt von Berthold Brecht den schoenen Satz in Bezug auf Kultur: „Wir duerfen nicht an das gute Alte anknuepfen, sondern muessen an das schlechte Neue anknuepfen.“
Es geht nur, wenn wir die Krise als Chance begreifen. Ich glaube, das Medienverhalten insgesamt aendert sich, wobei Lesen immer noch eine Rolle spielen wird. Sicher werden sich die Texte veraendern, sicher veraendert sich die Literatur, aber das ist ja auch etwas sehr spannendes.“
Pan y Arte: „Was mich bei meiner Arbeit hier als Freiwillige sehr fasziniert hat, war ein von der Casa de los Tres Mundos aufgebautes und gefoerdertes Leseprojekt in einem Dorf namens Malacatoya, in welchem ich bei den Kindern eine mir unbekannte Begeisterung gespuert habe fuer das Lesen, fuer Geschichten.“
Lutz Kliche: „Das ist ja hier eine grosse Bewegung. Cuenta cuentos, Geschichten erzaehlen, also die orale Literatur, war ja in der Menschheitsgeschichte ueberhaupt die erste Literatur. Bevor es Schriftsprache gab, wurden ja schon ueber Zehntausende von Jahren Mythen tradiert.
Ich habe das selber bei meinen eigenen Kindern erlebt. Geschichten erzaehlen, Geschichten weitererzaehlen ist eigentlich die intimste Form der Literaturvermittlung. Fuer mich war faszinierend, als ich von Nicaragua nach Deutschland zurueckkam, die Buchhandlungen voll zu sehen mit Buechern, stapelweise mit neuen Geschichten. Es gibt immer neue Geschichten! Der Reichtum menschlicher Beziehungen, der sich ja in Geschichten niederschlaegt, das ist das faszinierende fuer mich. Deswegen glaube ich auch, dass er unerschoepflich ist, dieser Reichtum, den Menschen zu erzaehlen haben. Wir werden immer Formen finden, das zu tun, bildliche Formen, schriftliche Formen, auditive Formen…
Pan y Arte: „Ich moechte noch einmal Bezug nehmen auf die Kinder in Nicaragua, insbesondere auf die, die in den Lese – und Poesieprojekten der Casa de los Tres Mundos involviert sind. Wenn Sie ihnen eine Botschaft uebermitteln koennten, welche waere die?“
Lutz Kliche: „Meine Botschaft waere, dass sie zuallererst fuer sich selber schreiben. Jemand, der schreibt, der sollte nicht daran denken, fuer wen er schreibt. Es ist nicht wichtig, ob das jemand liest oder druckt. Wichtig ist, dass er damit seinen eigenen Ausdruck findet. Schreiben ist einfach auch ein unheimlich wichtiger Weg zu sich selbst.“
Pan y Arte: „ Was ist fuer Sie die Poesie und die Literatur allgemein von Ernesto Cardenal in drei Worten ausgedrueckt?“
Lutz Kliche: „ … Liebe, Revolution und Gerechtigkeit“
Dieses Interview mit Lutz Kliche wurde durchgefuert von Luzie Turwitt, Pan y Arte – Freiwillige in der Casa de los Tres Mundos in Granada (Nicaragua).
wordpress theme by initheme.com